Darum gibt es wieder das „Sommerinterview“ in der ARD. Moderator Matthias Deiß über guten Polit-Journalismus und die Verantwortung der Öffentlich-rechtlichen.
Mann für den Bundestag. Matthias Deiß ist stellvertretender Studioleiter und Chefredakteur Fernsehen im ARD-Hauptstadtstudio.Foto: Mischa Heuer
Die „Sommerinterviews“ im „Bericht aus Berlin“, Ihr persönlicher Höhepunkt im Jahreskalender?
Ich freue mich, dass es wieder losgeht! Der gemeinsame Gang mit dem Gast entlang der Spree, die Stufen hoch zur Bundestagsterrasse, wo die berühmten roten Stühle warten: Das sind Bilder, die viele kennen – eine große Bühne und eine ebenso große Herausforderung, für beide Seiten. Die Zeiten sind ernst, es herrscht Krieg in Europa: Es gibt also vieles zu besprechen und auch zu hinterfragen. Genau wie im vergangenen Sommer – kurz vor der Bundestagswahl.
Gibt es Zahlen, die die Notwendigkeit der Reihe begründen?
Ja. Die ARD-„Sommerinterviews“ waren schon im Wahljahr 2021 mit einem Marktanteil von 7,9 Prozent deutlich besser eingeschaltet als im Jahr zuvor (6,5 Prozent). In diesem Jahr ist das Interesse an Politikberichterstattung ob der bewegten Nachrichtenlage ebenfalls enorm. Die Zuschauer wollen verstehen, was da gerade passiert in der Ukraine, in Moskau und wie die Ampel diese Megakrise, die der Kanzler als „Zeitenwende“ bezeichnet, für uns alle managt. Das sehen wir nicht nur am großen Interesse für das erste ARD-„Sommerinterview“ in diesem Jahr mit Olaf Scholz am vergangenen Sonntag.
Und die Gespräche sind im „Bericht aus Berlin“ bestens platziert?
Auch unser „Bericht aus Berlin“ ist seit vergangenem Herbst so erfolgreich wie noch nie. Die erste Hälfte des Jahres 2022 haben wir gerade mit einem durchschnittlichen Marktanteil von 9,4 Prozent beendet, das sind pro Sendung 1,778 Mio Zuschauerinnen und Zuschauer – seit dem Sendestart 2005 auf diesem Sendeplatz ist das, Stand jetzt, absoluter Rekord.
Die Spitzenpolitik steht ununterbrochen vor Kameras und Mikrofonen der ARD. Warum dann diese Verlängerungen?
Wenn Sie mit „Verlängerung“ darauf anspielen, dass wir mit den Interviews die parlamentsfreie Zeit überbrücken, lautet meine Antwort: Der Krieg macht auch keine Sommerpause. Dass die „Sommerinterviews“ in diesem Jahr auf 30 Minuten verlängert wurden, liegt an der ARD-Programmreform. Die Entscheidung, den „Bericht aus Berlin“ etwas vorzuziehen, uns mehr Sendezeit einzuräumen und den „Weltspiegel“ im direkten Anschluss zu senden, war richtig. Sie hat das Informationsprofil im Ersten am Sonntagabend deutlich geschärft. Wir haben jetzt die Gelegenheit, im direkten Zusammenspiel mit dem „Weltspiegel“ die Innen- und Außensicht auf die großen politischen Themen zu verzahnen. Das funktioniert bereits gut, wir werden das aber noch ausbauen.
„In vielen Ländern wird die freie Berichterstattung immer mehr beschnitten“
Wenn die „Sommerinterviews“ so dringlich sind, warum dann nicht auch „Herbstinterviews“ im Regen und „Winterinterviews“ mit Pudelmütze?
Ich führe kritische Interviews, aber ich lasse niemanden im Regen stehen. Als es vor einem Jahr mitten im „Sommerinterview“ mit Dietmar Bartsch heftig zu regnen begann, sind wir schnell ins Studio umgezogen. Die Sommerpause der ARDTalkformate und das warme Wetter geben uns die Möglichkeit, eine andere Kulisse zu bespielen. Danach finden die politischen Interviews und Debatten im Ersten wieder im „Bericht aus Berlin“ oder bei „Anne Will“ und Co. ihren Sendeplatz. Und für die ganz drängenden Fragen haben wir ja noch die vom ARDHauptstadtstudio produzierte Sendung „Farbe bekennen“ – ohne Pudelmütze.
Die „Sommerinterviews“ stoßen auch auf negative Resonanz. Was besonders stört: Politik und öffentlich-rechtlicher Rundfunk üben sich im Unterhaken. Teilen Sie diese Kritik, dass hier Best-of-Friends-Veranstaltungen abgehalten werden?
Wir sehen gerade in vielen anderen Ländern, dass freie Berichterstattung immer mehr beschnitten wird. Es ist längst nicht überall auf der Welt eine Selbstverständlichkeit, dass sich Spitzenpolitiker den Fragen unabhängiger Journalisten stellen. Ich finde: Wir sollten das wertschätzen. Mit Unterhaken hat das nichts zu tun. Mir persönlich hat übrigens auch noch niemand vorgeworfen, dass ich keine kritischen Nachfragen stelle.
CSU-Chef Markus Söder steht Matthias Deiß am Sonntag um 18 Uhr im Ersten Rede und Antwort.Foto: dpa
Ein „Sommerinterview 2022“ ist im Ersten gelaufen, sieben weitere stehen an. Wird noch irgendein Detail im Fragen-und-Antwort-Ritual verändert?
Wer das erste „Sommerinterview“ gesehen hat, hat gemerkt, dass wir intensiv am Format gearbeitet haben. Schon die Begrüßungssituation haben wir ganz neu gestaltet. Alles wirkt jetzt moderner, wir gehen mit neuen Grafiken in die Tiefe, um komplexe Zusammenhänge und Kernpunkte des Gesprächs zu verdeutlichen und die imposante Kulisse der Bundestagsterrasse noch besser einzubinden. Unser Publikum wird auch dieses Jahr wieder eine zentrale Rolle spielen, kann eigene Fragen über die Social-Media-Kanäle der „Tagesschau“ an unsere Interviewgäste stellen. Auch das zeigt: Bei uns stehen die Fragen, die die Menschen im Land gerade bewegen, im Mittelpunkt.
Die Politik weiß, welche Fragen kommen, Sie wissen, welche Antworten kommen, richtig?
Die Vermutung, dass die Politikerinnen und Politiker die Fragen kennen, höre ich immer wieder. Sie ist falsch. Wir sprechen Interviewfragen grundsätzlich nie ab und überlegen uns natürlich auch überraschende Fragen. Gleichzeitig wird es keinen unserer Gäste wundern, dass wir über den Ukraine-Krieg oder etwa Maßnahmen gegen Preissteigerungen sprechen, also die großen Themen, die nun mal gerade alle interessieren. In einem stimme ich Ihnen zu: Nicht jede Frage und nicht jede Antwort hat man so noch nie gehört. Der Anspruch muss aber sein, möglichst viel Neues zu erfahren. Dass das regelmäßig auch gelingt, sieht man daran, dass die „Sommerinterviews“ in der Presse stets gut zitiert sind: „sagte er/sie in der ARD“ heißt es dann immer so schön – übrigens auch im Tagesspiegel.
„Mein Antrieb ist die Leidenschaft für politischen Journalismus“
Die Absprachen mit dem öffentlich-rechtlichen Konkurrenten ZDF betreffen …
… vor allem Terminabsprachen, um zu vermeiden, dass es zu Dopplungen kommt.
Fragen Sie Politikerinnen denn anders als Politiker?
Für mich hat sich diese Frage in der Interviewführung so noch nie gestellt, mir geht es um die Themen und Inhalte. Der Familienministerin stelle ich natürlich andere Fragen als der Verteidigungsministerin.
Wie genau muss man sich auf den jeweiligen Interviewpartner/die jeweilige Interviewpartnerin einstellen?
Sehr genau. Ohne intensive Vorbereitung sind weder gute Fragen noch die nötigen Nachfragen möglich. Dafür musst du „im Stoff“ sein. Für jedes „Sommerinterview“ gibt es deshalb ein kleines Redaktionsteam, das die Sendung gemeinsam konzipiert. Konkret heißt das: viel Recherche, viel Lesestoff und viele gute Ideen, von denen es die besten dann am Ende auf den Fragezettel schaffen.
Nach den Sommerinterviews geht es ab September mit dem regulären „Bericht aus Berlin“ weiter. Sie waren vorher Redaktionsleiter des ARD-Magazins „Kontraste“. Was fasziniert Sie eigentlich so an dem Format des politischen Magazins?
Was mich antreibt, ist die Leidenschaft für politischen Journalismus und die Lust am Gestalten. Ich bin fest davon überzeugt: Nur wer im Journalismus selbst mit Begeisterung dabei ist, kann auch die Zuschauer begeistern. Bei „Kontraste“ ging es darum, ein Politikmagazin ins digitale Medienzeitalter zu holen: Mit neuem Studio, neuem Design, neuem redaktionellen Konzept, das konsequent auf Social Media setzt und mit neuem Teamspirit wurde „Kontraste“ zum meistgesehenen Politikmagazin.
Diese Erfahrungen bringe ich nun beim „Bericht aus Berlin“ ein. Und auch im ARD-Hauptstadtstudio geht es um Veränderung. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer erreichen wir heute vor allem über Smartphones und das Internet, tagesschau.de und tagesschau24 werden immer wichtiger. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, recherchieren und berichten unsere Hörfunk-, Fernseh- und Social-Media-Korrespondentinnen und -Korrespondenten nun gemeinsam. Wir bündeln also die Kompetenzen, um das gesamte ARD-Hauptstadtstudio journalistisch noch schlagkräftiger zu machen.