Ohne Chemie lägen 90 Prozent aller Produktionsprozesse hierzulande still, warnt VCI-Chef Kullmann – und befürchtet einen „Herzinfarkt der deutschen Wirtschaft“.
Ein Arbeiter überprüft eine Anlage im Uniper-Gasspeicher Bierwang nahe der bayerischen Stadt Kraiburg am Inn (Symbolbild).Foto: REUTERS/Andreas Gebert
Die chemische Industrie stellt den Vorrang privater Haushalte bei der Zuteilung von Gas im Notfall infrage. Die Sicherung der Arbeitsplätze und damit das Einkommen sei für die Familien sehr wichtig und „steht für die Gesellschaft höher als die vollständige Sicherstellung der privaten Gasversorgung“, sagte der Präsident des Chemieindustrieverbands VCI, Christian Kullmann, der „Süddeutschen Zeitung“. „Was nützt es, wenn die Haushalte zwar weiter Gas bekämen, es aber nicht mehr bezahlen könnten?“
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„Wir sind in Deutschland auf unserem Wohlstandskissen in den vergangenen Jahrzehnten zu bequem und zu satt geworden“, sagte Kullmann. „Jetzt stehen Wohlstand und wirtschaftliches Wachstum auf der Kippe. Dieses Land ist nicht darauf vorbereitet, Verzicht zu üben. Wir müssen jetzt wieder härter arbeiten, um den Status quo zu verteidigen.“
Die Bundesregierung hat wegen des Ukraine-Kriegs den Notfallplan Gas aktiviert und mittlerweile die Alarmstufe ausgerufen. Im Fall einer Mangellage entscheidet sie darüber, wer noch wie viel Gas bekommt. Privathaushalte sind dabei besonders geschützt. Immer wieder kommen aus der Wirtschaft Forderungen, die Priorisierung zu ändern.
Verbandspräsident will mit der „Axt“ an Einspruchsrechte der Bürger
Kullmann, Chef des Verbandes der chemischen Industrie (VCI), warnte in der „Süddeutschen“ vor einer tiefen Wirtschaftskrise: „Für den Fall eines vollständigen Gasembargos befürchte ich den Herzinfarkt der deutschen Wirtschaft, auch unserer Branche.“ Ohne Chemie stehe Deutschland still, denn chemische Produkte würden für 90 Prozent aller Produktionsprozesse benötigt. Die Folgen für die Beschäftigten wären gravierend, es drohe „eine schlimme Krise, auch gesellschaftlich und sozial“.
„Wir stehen mitten in einem Wirtschaftskrieg gegen Russland“, sagte Kullmann der Zeitung. Daher sei es auch „naiv zu glauben, dass die Reduktion an einem Ausfall einer Siemens-Turbine liegt. Wir zahlen jetzt den Preis für unsere Solidarität mit der Ukraine.“
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Ausdrücklich lobte der VCI-Chef das Krisenmanagement von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). „Robert Habeck ist ein guter Wirtschaftsminister, ich bin beeindruckt“, sagte Kullmann der Zeitung. Er sei „kein Schwadroneur und Ankündigungsweltmeister“.
Harte Kritik übt Kullmann dagegen an Bayerns Ministerpräident Markus Söder (CSU). Es reiche nicht, nur Bäume zu umarmen, Bayern müsse auch Windräder bauen. Kullmann sagte zur Energiewende: „Wir müssen jetzt schnell Einspruchsrechte von Bürgern gegen solche Projekte mit der Axt einkürzen. Sonst wird es uns nicht gelingen, die regenerativen Energien wie geplant schnell auszubauen.“ (mit AFP)
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