Vom Schutzschirm für Gasunternehmen bis zum Tempolimit: Die Debatte um die Energieversorgung ist vielschichtig – und zielführend. Ein Kommentar.
Wie viel ist drin? Diverse analoge Anzeigen beim bayerischen Gasspeicher Wolfersberg.Foto: picture alliance/dpa
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wirbt für einen neuen Duschkopf, der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck möchte für die Freiheit frieren, die Grünen proklamieren ein Tempolimit und Schwarze finden Atomkraft klasse. Die Diskussion um die Energieversorgung ist so vielfältig wie der Energiemarkt, der bis zum Krieg nach drei Vorgaben funktionierte: Sichere Versorgung zu bezahlbaren Preisen bei maximaler Klimaverträglichkeit.
Dieses Zieldreieck ist inzwischen spitz zugelaufen, wie die Debatte um das Energie-Sicherungsgesetz zeigt, das diese Woche verabschiedet wird. Absolute Priorität hat die Versorgungssicherheit.
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Die Wahrscheinlichkeit, dass Gazprom nach der Wartungspause in zwei Wochen wieder Gas in den gewohnten Mengen durch die Ostseepipeline Nordstream 1 liefert, ist so groß wie die eines von Wladimir Putin initiierten Waffenstillstands.
Deshalb bemüht sich die Ampel-Regierung um Vorsorge für den Winter, deshalb diskutiert das ganze Land über Auswege aus der Gasfalle. Je schwieriger die Lage, desto unterkomplexer mancher Vorschlag. Das Überziehen eines Pullovers rettet nicht die deutsche Wirtschaft.
Deutschland hat überdurchschnittlich viel Industrie und lebt aus diesem Grund auf einem hohen Wohlstandsniveau. Die Substitution von Gas ist kurzfristig kaum möglich, aber ein effizienterer Einsatz. Das zeigt der Gasverbrauch in den ersten fünf Monaten, der – bereinigt um Temperaturunterschiede – um rund zehn Prozent unter Vorjahr lag.
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Im Mai wurde sogar fast ein Drittel weniger verbraucht. Der hohe Preis stimuliert also Sparverhalten und Kreativität von privaten und gewerblichen Kunden. Zum Beispiel Henkel: Der Waschmittelkonzern bittet seine Beschäftigten, nach dem Sommer im Homeoffice zu bleiben, um in den Büros die Heizung drosseln zu können.
Wärme ist ohne Gas kaum möglich
Die Energiewende ist bislang am Wärmemarkt vorbeigegangen. Erdgas beheizt rund die Hälfte der Wohnungen hierzulande. Trotz „Aufbauprogramm Wärmepumpe“ und „Förderprogramm effiziente Wärmenetze“ wird der Gebäudebestand noch viele Jahre Gas brauchen. Über die Raumtemperatur im Winter darf deshalb diskutiert werden: Ein Grad weniger reduziert den Gasbedarf für die Wärme um sechs Prozent.
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Zum Vergleich: Die Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke bringt auf dem Gasmarkt gut ein Prozent. Aus Klimaschutzgründen sind AKWs sinnvoll, siehe die Taxonomie-Regelung der EU. In der akuten Gaskrise indes helfen Kernkraftwerke ebenso wenig wie ein Tempolimit.
Bei der Betrachtung der Effekte auf dem Energiemarkt insgesamt ergeben sich andere Einschätzungen: Eine Geschwindigkeitsgrenze von 130 km/h würde nach Berechnungen des Umweltbundesamtes 600 Millionen Liter Kraftstoff bringen. Und 1,5 Millionen Tonnen des Klimagases CO2 vermeiden.
Wie das Tragen von Masken gegen die Ausbreitung des Virus ist das Tempolimit eine Maßnahme, die schnell wirkt und wenig Schaden anrichtet. Das finden auch die Mitglieder des ADAC: Mehr als die Hälfte ist für ein Tempolimit.
Schutzschirm für Gasversorger
Im Kern der Energiesicherung steht im Krisensommer der Eingriff des Staates in den Gasmarkt, um dessen Kollaps zu verhindern. Wenn die Gasversorger börsentäglich Gas kaufen müssen als Ersatz für nicht geliefertes Gas, dann überfordern die Kosten die Unternehmen. Siehe Uniper.
Für diese Fälle führt die Politik eine Umlage ein, mit der alle Gasverbraucher an den Zusatzkosten beteiligt werden. So etwas wie eine solidarische Krisenabgaben, um das System insgesamt am Laufen zu halten. Der Staat wiederum spannt einen Schutzschirm über die bedrohten Gasunternehmen. Die Gemeinschaft der Steuerzahler und die Verbraucher müssen zahlen, Gas wird noch teurer.
Kleiner Trost für Haushalte und Betriebe: Das Einsparpotenzial beim Gas wird auf rund 15 Prozent geschätzt. Dieses Potenzial sollten wir rasch nutzen – um mit einigermaßen vollen Speichern durch den Winter zu kommen.
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